CHRISTIAN KAPP
Christian Kapp ist zu Lebzeiten wohl kein einfacher Mensch: Verschiedene Quellen beschreiben ihn als temperamentvollen, reizbaren und schwierigen Charakter. Auch sein Lebensweg zeigt das: Immer wieder gerät er in Konflikte, auch weil er fest für seine radikal-demokratischen Ansichten und Überzeugungen einsteht. Das gipfelt in seinem Austritt aus der Frankfurter Nationalversammlung am 28. Juni 1848, nachdem dort das Amt des Reichsverwesers mit Erzherzog Johann von Österreich besetzt wird. Eine Entscheidung, die Kapp als Verrat am Prinzip der Volkssouveränität sieht und die er nicht unterstützen will. Nach seinem Austritt übt er fundamentale Kritik an der Nationalversammlung, die sich seiner Meinung nach mit dieser Wahl den alten Mächten angebiedert und eine grundlegende Neugestaltung Deutschlands so verspielt hätte, und zieht sich, vermutlich desillusioniert, von der politischen Bühne zurück.
Geboren wird Johann Georg Christian Kapp am 18. März in Bayreuth, das damals zu Preußen gehört. Seine Verwandtschaft besteht aus zahlreichen Theologen und Philologen, darunter etwa Erhard Kapp, Leipziger Universitätsrektor und ein Lehrer von Gotthold Ephraim Lessings.
Kapp studiert bis 1819 in Berlin Theologie und später, inspiriert durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie. 1823 habilitiert er in Erlangen und wird im Jahr darauf dort außerordentlicher Professor für Philosophie.
An der Universität Heidelberg nimmt Kapp eine Honorarprofessur an, 1840 erhält er eine ordentliche Professur, liest aber nur kurze Zeit bei den Studenten. Finanziell abgesichert durch die Heirat mit der wohlhabenden Emilie Friederike Schuster kann er sich publizistisch betätigen.
Kapp gerät immer wieder in Konflikt mit seiner Fakultät in Heidelberg. Auslöser dafür ist sein (erfolgloser) Einsatz für die Aufnahme von Linkshegelianern an die Fakultät, die von anderen Professoren abgelehnt werden. Sein Einsatz bringt Kapp den Ruf eines radikal-demokratischen Oppositionellen unter seinen Kollegen ein und macht ihn zum Außenseiter an der Fakultät – gleichzeitig wird er unter den Studenten und jungen Dozenten zum Zentrum demokratischer und republikanischer Kreise.
Kapp tritt von seiner Heidelberger Professur zurück. Auslöser ist ein Streit zwischen den Professoren der Geschichte und der Philosophie. Kapp hatte für das Wintersemester 1843/44 ein Kolleg über Geschichte und Politik angekündigt, was ihm als Eingriff in andere Fachbereiche untersagt wurde. Kapp versteht dies als Angriff auf die Lehrfreiheit und bewusste Ausgrenzung seiner politischen Ansichten.
Für den Offenburger Stadtwahlkreis wird Kapp in die badische Abgeordnetenkammer gewählt und beginnt damit seine politische Karriere. Offenburg gilt in dieser Zeit als ein Zentrum radikal-demokratischer Oppositionsgruppen. So ist dort unter anderem auch der für politischen Fortschritt einstehende Deutschkatholizismus verankert, zu deren Unterstützung auch Kapp zählt. In verschiedenen Publikationen verlangt Kapp eine Unterordnung der Kirche unter den Staat und eine Emanzipation des Staates von den kirchlichen Einflüssen.
Kurz nach dem Ausbruch der französischen Februarrevolution fordert Kapp öffentlich unter anderem die Wiederherstellung des Pressegesetzes, die Aufhebung der Repressionsmaßnahmen des Deutschen Bundes, Glaubens- und Gewissensfreiheit, aber auch die Beseitigung des Feudalwesens und eine Vermögens- und Einkommenssteuer sowie die Einführung einer einheitlichen Nationalversammlung.
Für den Stadtkreis Tauberbischofsheim wird Kapp in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Seine oft beißend formulierten Kritik und seine Kompromisslosigkeit gegenüber eines Vereinbarungskurses mit den alten Regierungen, auch bedingt durch den gescheiterten Aprilaufstand der republikanischen Linken in Baden, machen ihn im Parlament zu einem Außenseiter.
Nachdem Erzherzog Johann von Österreich von der Nationalversammlung Reichsverweser – eine Position, in der er dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich ist – gewählt wird, tritt Kapp aus Protest aus der Versammlung aus. In der Wahl sieht er einen Verrat an der Märzrevolution und der Volkssouveränität. In der Folge seines Rücktritts übt er Fundamentalkritik am vermittelnden Kurs der Paulskirche.
Mit der Abgabe seines letzten politischen Amtes, dem Mandat im Badischen Landtag, zieht sich Kapp weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurück.
Kapp verstirbt am 31. Dezember in Neuenheim, Heidelberg.
Jörn Leonhard
Wer über die alte Brücke von Heidelbergs Altstadt auf die Neuenheimer Seite wechselt, kann am unteren Abhang des Heiligenberges, der sich links nach Neuenheim hin öffnet, noch heute einige hochgewachsene Koniferen erkennen. Heidelberg verdankt diesen Garten Christian Kapp, einem prominenten Heidelberger Demokraten aus der Zeit des Vormärz und Mitglied der Frankfurter Paulskirche. Nach nur vier Wochen trat er schon im Juni 1848 wieder aus der Nationalversammlung aus. Als radikaler Naturfreund beschäftigte er sich fortan mit der Aufzucht exotischer Nadelhölzer. Kapps Freiheitsliebe, so eine zeitgenössische Anekdote, habe sich nach der tiefen politischen Desillusionierung in der Paulskirche auf die Anweisung an seine Gärtner beschränkt, die eingepflanzten Bäume und Sträucher seines Gartens nur ja nicht zu beschneiden, um wenigstens dem Wachstum der Flora weitestgehende Freiheit zu gewähren. Weiterlesen
Christian Kapp, 1798 in Bayreuth geboren, kam Anfang der 1830er Jahre nach Heidelberg, wo er 1839 eine Honorarprofessur für Philosophie antrat. Finanziell durch seine Heirat mit einer Pfälzerin aus wohlhabender Familie abgesichert, entwickelte sich sein Haus auf der rechten Neckarseite sehr bald zu einem Kristallisationspunkt für die demokratische Opposition Heidelbergs im Vormärz. Der Garten, so ein Zeitgenosse rückblickend, sei „ein geweihtes Luftwäldchen gewesen, in welchem alle Fragen wiederhallten, welche die besten Kreise Deutschlands beseelten“.
Obwohl zu den Gästen auch ein eher gemäßigter Liberaler wie Karl Theodor Welcker gehörte, galt Christian Kapp in Universitätskreisen nicht zuletzt aufgrund seiner engen Freundschaft zu Ludwig Feuerbach, dem radikalen Religionsphilosophen, den er seit gemeinsamen Studientagen in Berlin kannte, bald als suspekt. Seine Versuche, prominenten Linkshegelianern wie David Friedrich Strauß oder Bruno Bauer Professuren in Heidelberg zu verschaffen, scheiterten. Hinzu kam nicht zuletzt sein in vielen zeitgenössischen Berichten erwähntes doktrinäres, ja cholerisches Temperament, das schließlich einen Streit mit der eigenen Fakultät um die Abhaltung von Examina mündete. Als Kollegen ihm vorwarfen, sich unzureichend um sein Amt zu kümmern, eskalierte der Konflikt 1844. Kapp schied daraufhin freiwillig aus der Universität aus. Niemand begrüßte diese Entscheidung enthusiastischer als Kapps Freund Feuerbach, der ihm mit süffisanter Ironie zur förmlichen Entlassung aus dem „Karzer der Universität Heidelberg“ gratulierte. Der Freund passe so wenig wie er selbst „in die Schranke einer offiziellen Kommune dieser Zeit.“ Das Neckartal sei „zwar allerdings herrlich, aber je enger das Tal, um so breiter machen sich nur die Hofräte und übrigen Universitätspudel.“
Das Ende seiner Universitätslaufbahn eröffnete Kapp den Eintritt in die aktive Politik. Durch die Vermittlung Karl Theodor Welckers und Adam von Itzsteins, beide führende Repräsentanten des vormärzlichen badischen Liberalismus in seiner Konzentration auf den Landtag und die Hoffnung auf Kooperation mit einem reformbereiten Staat, wurde er 1845 für Offenburg, den „weltberühmten Demagogensitz“, in die Karlsruher Kammer gewählt. Dort setzte er sich nicht allein für die Judenemanzipation ein, sondern geißelte vor allem die politische Reformblockade im Deutschen Bund, die nach seiner Ansicht unweigerlich auf eine revolutionäre Konfrontation zulaufe. Der 1815 geschaffene Staatenbund stelle lediglich eine von Metternich oktroyierte „Polizeieinheit“ dar. Zu Unrecht klage man daher „immer die Opposition an. Nicht diese, das alte System der Regierung führt notwendig, führt unrettbar zur Revolution.“
Den Ausbruch der französischen Februarrevolution 1848 begrüßte er mithin als verheißungsvollen Auftakt für die Entwicklung in Deutschland. Seine Distanz zu den konstitutionell-gemäßigten Liberalen dokumentierte einerseits seine Teilnahme an den beiden Offenburger Versammlungen, die gegenüber der liberalen Strategie einer parlamentarischen Kanalisierung der revolutionären Bewegung bereits von den radikal-republikanischen und sozial-egalitären Forderungen der Volksrevolutionäre Friedrich Hecker und Gustav Struve dominiert wurden. Andererseits nahm Kapp aber auch an der Heppenheimer Versammlung der gemäßigten Liberalen teil. Zu Beginn der Märzereignisse ließ er sich von daher nicht eindeutig den republikanischen Anhängern einer außerparlamentarischen Volksbewegung zurechnen.
Über die Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848 und das Frankfurter Vorparlament gelangte Kapp als Abgeordneter in die Nationalversammlung der Paulskirche. Seiner Überzeugung nach kam ein evolutionärer Vermittlungskurs gegenüber den alten Gewalten, wie ihn die Mehrheit der Liberalen anstrebte, einem Verrat an den wahren Volksinteressen gleich. In einer Landtagsdebatte vom März 1848 hatte er die konstitutionelle und nationalpolitische Reformunfähigkeit des Deutschen Bundes scharf kritisiert: Die „letzten Glieder der Bundesversammlung“ seien nichts anderes als „bankrott gewordene Proletarier an der deutschen Staatsmaschine“. Dennoch hielt er noch an der Idee einer konsequenten Fortentwicklung des Bundes fest. Dessen Aufgabe erkannte er klarsichtig in der „Aufrechterhaltung der Nationalfreiheit in der Nationaleinheit durch Nationalrepräsentation“. Damit formulierte er zugleich die dreifache Hypothek der Paulskirche, auf der neuen parlamentarischen Basis politische Freiheit und nationale Einheit zu verwirklichen.
Unter dem Eindruck seiner Erfahrungen in Frankfurt und nicht zuletzt durch seine Neigung, ebenso wortreich wie pathetisch und polemisch zuzuspitzen, radikalisierte sich Kapps Einstellung in Frankfurt sehr bald. Bereits im Vorparlament bezeichnete er den Bund als verwesende „Leiche“, als „Hauptherd aller Teufeleien Deutschlands“. Diese Formulierung trug ihm in zeitgenössischen Satireblättern den ironischen Titel „Reichshyäne“ ein. So sehr sich Kapp selbst eher als politischer Mahner begreifen mochte, so deutlich zeigte sich bald, dass er im Parlament weitgehend isoliert war: Einerseits konnte er sich bei aller rhetorischen Schärfe niemals zu einer aktiven Unterstützung der außerparlamentarischen Volksrevolution wie in der Badischen Aprilrevolution unter Führung von Hecker und Struve durchringen. Andererseits war seine Distanz zu den konstitutionellen Liberalen spätestens seit Beginn der Beratungen in der Frankfurter Nationalversammlung unüberbrückbar geworden.
Seine tiefe Abneigung gegen den Typus des vermeintlich tatenlosen Universitätsprofessors auf der politischen Bühne ließ allenfalls die rhetorische Stilisierung revolutionärer Entschlossenheit zu. Wo die politische Neugestaltung auf demokratischer Grundlage in eine bloße Konsensstrategie münde, müsse auf die revolutionäre Volksbewegung zurückgegriffen werden: „Wir sind keine Germanisten, sondern Männer der Tat.“ Es gelte, „gegen das alte System Schläge zu führen, die durch Fleisch und Blut in Mark und Bein, in Leber und Nieren dringen.“ Nachdem die republikanische Linke ihre Position bereits im Vorparlament nicht hatte durchsetzen können, offenbarte die Niederschlagung des badischen Aprilaufstandes 1848, dass die Spielräume für eine Volksrevolution im außerparlamentarischen Raum geringer wurden.
Als sich die Nationalversammlung vier Wochen nach ihrem Zusammentritt im Juni 1848 mit der Wahl des Erzherzogs Johann von Österreich zum Reichsverweser eine eigene Exekutive in der Form einer Provisorischen Zentralgewalt schuf, symbolisierte dies zwar die Durchsetzung der souveränen parlamentarischen Entscheidungsmacht, aber es war zugleich ein Bekenntnis zum dynastischen Prinzip und ein Symptom für den Vermittlungskurs der gemäßigten Liberalen gegenüber den fürstlichen Regierungen der deutschen Einzelstaaten. Kapp nahm diese Grundentscheidung zum Anlass für seinen spektakulären Austritt aus dem Parlament, der wiederum auf den Einfluss seines Freundes Feuerbach zurückging. Feuerbach, der zumal seine religionsphilosophischen Vorlesungen im Heidelberger Rathaus als Vorbereitung zu einer gewaltsamen Revolution mit dem Ziel einer demokratischen Republik verstand, bekannte sich offen zur Gewalt. Ohne „Blut, ohne Lebensverlust“ komme „nicht neues Leben in die Welt“. Obwohl das vom Reichsverweser berufene Reichsministerium auf der Mehrheit der Abgeordneten beruhte, war Erzherzog Johann formal dem Parlament nicht verantwortlich. Damit symbolisierte der Reichsverweser für Kapp und Feuerbach das Ende der Volkssouveränität und den offenkundigen Verrat an den wahren Volksinteressen.
Die ganze Widersprüchlichkeit der doktrinären Position Kapps zwischen seiner rhetorischer Bekenntnishöhe und der faktischen Minderheitenposition der radikalen Republikaner im Parlament wie außerhalb fasste ein Zeitgenosse der Frankfurter Ereignisse eindrücklich zusammen. Als Mitglieder der demokratischen Vereine Kapp am Abend nach seinem Austritt mit einem Fackelzug ehrten, forderte er die Menge auf, „fest zusammenzustehn, denn der Volkswille muss schwer und gewichtig sein wie die Lokomotive, damit er zermalme, was sich ihm entgegenstellt.“ Im Bericht des Augenzeugen hieß es weiter: „Als die Fackelträger ruhig abzogen, bemerkte ich zu meinem Nachbarn, welcher schweigend unter den Alleebäumen neben mir ausgeharrt hatte, dass es doch überraschend sei, wie die Leute nach so aufregenden Ansprachen still und ruhig abzögen. ‚Bah‘, antwortete mein Nachbar, ‚die Mehrheit hat keine Sohlen an ihren Stiefeln.‘“
Nach dem Ende seines nur vier Wochen währenden Mandats in der Paulskirche zog sich Kapp weitestgehend von der politischen Bühne zurück. Während die Satireblätter noch vom Ausbruch der „Reichshyäne“ aus der „Frankfurter Menagerie“ berichteten, versuchten liberale Gegner Kapp lächerlich zu machen: Es sei eine „Illustration“ der „eingebildeten Ruhmesgröße“ gewesen, „dass die Bewohner des rechten Neckarufers wochenlang eine Schar soldatenspielender Straßenjungen in militärischer Vermummung vor Kapps Haus ziehen sahen, um dem gefeierten Volksmann ein Hoch auszubringen und das Heckerlied anzustimmen.“
Die politische und wohl auch persönliche Desillusionierung am Ende stand in eigentümlichem Gegensatz zu dem Portrait, das Anselm Feuerbach 1849 von Christian Kapp anfertigte: „Ein angehender Fünfziger, schon wohl beleibt, in einen Pelzmantel gehüllt, sieht er“ - so Kuno Fischer rückblickend – „mit dunkelfeurigen Augen aus dem Bild heraus, leicht vorgeneigt sitzend und bereit, mit heftigem Wort den Frager zuzudecken.“
Sei es bittere Ironie der Familiengeschichte oder Symbol der dramatischen Zeitläufte deutscher Geschichte: Der Anführer des berüchtigten Kapp-Lüttwitz-Putsches, mit dem rechtsextreme Nationalisten im Frühjahr 1920 die neue Weimarer Demokratie stürzen wollten, war ein direkter Nachfahre des Heidelberger Achtundvierzigers vom rechten Neckarufer. Am 3. April 1920 stellte ein Artikel im Heidelberger Tageblatt die nicht unberechtigte Frage nach Zeichen des „Atavismus, der Vererbung der Züge geistiger Unruhe ... auf den abwechslungsweise auf die reaktionäre Seite gefallenen Empörer Wolfgang.“
Im Tempel schwang der Heiland seine Geißel,
zu reinigen die längst entweihte Stätte:
Laut schrie der Pöbel um verletzte Rechte!
Ist er verschwunden dieser selbe Pöbel?
Ruht er nicht wohlgenährt in heil’gen Hallen,
sich üppig freuend seiner Wucher-Früchte?
Doch halt! Es geht die kalte, dunkle Sage:
In Zauberbanden lieg‘ der Kölner Dom.
[…]
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Wie steht es nun? Wer mag es laut mir künden?
Was tat die Herrschsucht? Brach die falsche nicht
Das Heiligste, das frei gegebene Wort?
[…]
Entweiht vor Gott und Menschen ist der Altar,
die Liebe selber langt nach jener Geisel,
und in des Domes hochgewölbtem Bau
regt sich zu neuem Leben alter Treue!
Es ruh’n die Kräfte fürstlicher Gewalten
Nur friede-atmend im gekränkten Lande.
Doch in den Grüften wenden sich die Toten:
Die alten Frommen wollen nimmer dulden,
dass Priester-Dünkel ihrer Asche spotte.
Sie wenden sich im Grab: Es dröhnt der Boden
Und ihren Gruß vernimmt, im Seraph-Kranze,
an ihrer Brust den Eingebornen tragend,
die stumme Jungfrau, Königin des Himmels.
[…]
Die Klammer springt, es öffnet sich das Grab.
Aufsteigend die Gestalten grauer Vorzeit,
zum Schrecken des entarteten Geschlechts.
Dies sinkt hinab: und fernabdonnernd schließen
die Felsen-Grüfte ihre Wechsel-Pforte,
zu bergen ewig diese Natternbrut.
Es sinkt die Nacht mit ihren Höllen-Söhnen.
Auf ihre Häupter treten, neu belebt,
die Helden-Jünger reinen Christen-Glaubens,
begrüßend schon des Tages junge Sonne,
und treu umgeben von der Engel-Schar
erheben sie das Kreuz, von Rosen-Knospen
der neuen Morgenröte rings umblüht.
[…]
Ein neu Gebot ertönt in ihrem Munde:
Liebt, Brüder, liebt Euch frei in reinem Glauben!
Besiegt den Irrtum streng im eignen Busen,
befreit Euch von Euch selbst, dann seid Ihr frei.
Nur Selbstbesiegung ist der Liebe Losung.
Nur blinder Irrtum tötet Lebensfreude;
Und nur wo Einsicht wohnt, wohnt die Versöhnung.
Gestern morgen hatte ich gleich zu Anfang der Sitzung eine dringende Angelegenheit auf wenige Augenblicke Sie und Herrn v. Soiron ums Wort gebeten; letzterer hat sich indessen trotz meiner viermal wiederholten Forderungen wie gewöhnlich gemüßigt gefunden, mir dasselbe abzuschneiden. In die Unmöglichkeit versetzt, mich mündlich erklären zu können, bin ich gezwungen, die Gründe meines Austritts schriftlich auf die Tafel des Hauses niederzulegen und Sie zu ersuchen, dies Schreiben sofort der Nationalversammlung mitzuteilen.
Als ich am Montagmorgen, den 26. dieses Monats, den Antrag auf Gründung einer großen deutschen Nationalbank dem Präsidenten übergab, glaubte ich nicht, noch am Abend desselben Tags einen Vorfall erleben zu müssen, der in den Annalen parlamentarischer Verhandlungen kaum seinesgleichen hat. Mit gewohnter Milde und Nachsicht würde ich jedoch diesen Vorfall wie andere ähnliche […] übersehen haben, wenn ich nicht aus dem Geiste, welcher in den Hauptfragen die Mehrzahl der Versammlung beherrscht, die tragische Überzeugung gewonnen hätte, dass die Nationalversammlung nicht nur die Gesetze verleugnet, die sie sich selbst gegeben, sondern auch den Boden verlässt, auf welchem sie zu stehen berufen ist, dass sich also das Schicksal Deutschlands nicht in diesem Saale, sondern außer ihm, nicht durch Worte und diplomatische Künste, sondern durch Taten, durch Ereignisse entscheiden wird. Weiterlesen
So schmerzlich es mir ist, dies aussprechen zu müssen, so wenig ich zu separatistischen Schritten geneigt bin, so kann ich es doch im Geiste meiner Wähler mit meiner Ehre und meinem Gewissen nicht vereinigen, noch länger einer Nationalversammlung anzugehören, welche in Tagen solcher Not ihr Schicksal außer sich setzt und nicht zu begreifen wagt, dass die Tatsachen unserer neuen Geschichte nichts anderes als die offenbar gewordenen Prinzipien des Jahrhunderts sind. Einen neuen glänzenden Beweis der Verleugnung ihres Ursprungs, der Verkennung ihrer Aufgabe, der Verkennung der Forderungen und Hoffnungen des Volks hat die Nationalversammlung in taktvoller Harmlosigkeit bei der gestrigen Abstimmung dadurch geliefert, dass sie die Zentralgewalt von der Verbindlichkeit, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen, entband, jene also unabhängig von sich hinstellte, mithin sich selbst zur Antichambre des künftigen Reichsverwesers degradierte, bei ihrer heutigen Abstimmung aber dadurch, dass sie eben diesen Reichsverweser mit mehr als doppelter Majorität aller Verantwortlichkeit überhob und auf diese Weise die Macht- und Rechtsvollkommenheit verdahlmannte.
Indem ich auf Grund dieser Tatsachen meinen Austritt erkläre, verbinde ich mit dem hochachtungsvollsten Gruß an die Ehrenmänner aller Bänke den Wunsch, dass mein Ausscheiden die Ursache mit entfernen helfe, welche mich zu diesem Schritte genötigt haben.
Frankfurt, den 28. Juni 1848, vormittags 11:30 Uhr
Kapp
An meine Wähler!
Sie ersehen aus nachfolgendem Briefe, dass ich aus der Nationalversammlung ausgetreten bin. Bei Ihnen werde ich mich wegen dieses Schrittes nicht rechtfertigen: ich glaube vielmehr, ganz in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Sie haben mich gewählt in eine Versammlung, deren Lebensgrund die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Kraft das lebendige Wort der Wahrheit, die Sprache der Tatsachen, deren Gesetz die Freiheit der Rede ist. Diese Versammlung existiert aber nicht mehr. Das Prinzip ihres Ursprunges, die Souveränität des Volkes, hat sie aufgegeben und den Mund des Volkes verschlossen, indem sie seinen freisinnigsten Vertretern das Wort verkümmerte.
Ich habe das Vertrauen, dass die Stärke Ihres Unwillens über die Gründe meines Austritts jene großartige Ruhe auch bei Ihnen nicht stören wird, die das sicherste Zeichen siegende Kraft selbst in den Tagen der Not ist. Eigene Erfahrungen hat Sie schon überzeugt, welche Macht in Ihrer Haltung, welche Tatkraft in Ihrer Einsicht liegt.
Frankfurt, den 28. Juni 1848
Der Ihrige
Ch. Kapp
Encyclopädie der Philosophie. Erster Theil., Berlin / Leipzig 1825.
Die Kirche und ihre Reformation. Ein Fragment. (Bruchstücke einer Theodicee der Wirklichkeit von D. Outis oder Stimmen eines Predigers in der Wüste von D. Christian von der Asche), Erlangen 1826.
Das concrete Allgemeine der Weltgeschichte, Erlangen 1826.
Gregor, ein Gespräch über das Papsthum und die Monarchie, Nürnberg 1833.
Die Gründe meines Austritts aus der Nationalversammlung. Ein Sendschreiben an meine Wähler, Darmstadt 1848.
Briefwechsel zwischen Ludwig Feuerbach und Christian Kapp. 1832 bis 1848, hg. von August Kapp, Leipzig 1876.
Best, Heinrich / Weege, Wilhelm: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 8), Düsseldorf 1996, S. 200f.
Leonhard, Jörn: Christian Kapp, in: Gelehrte in der Revolution. Heidelberger Abgeordnete in der deutschen Nationalversammlung 1848/49, hg. von Frank Engehausen / Armin Kohnle, Ubstadt-Weiher 1998.
CHRISTIAN KAPP
Christian Kapp ist zu Lebzeiten wohl kein einfacher Mensch: Verschiedene Quellen beschreiben ihn als temperamentvollen, reizbaren und schwierigen Charakter. Auch sein Lebensweg zeigt das: Immer wieder gerät er in Konflikte, auch weil er fest für seine radikal-demokratischen Ansichten und Überzeugungen einsteht. Das gipfelt in seinem Austritt aus der Frankfurter Nationalversammlung am 28. Juni 1848, nachdem dort das Amt des Reichsverwesers mit Erzherzog Johann von Österreich besetzt wird. Eine Entscheidung, die Kapp als Verrat am Prinzip der Volkssouveränität sieht und die er nicht unterstützen will. Nach seinem Austritt übt er fundamentale Kritik an der Nationalversammlung, die sich seiner Meinung nach mit dieser Wahl den alten Mächten angebiedert und eine grundlegende Neugestaltung Deutschlands so verspielt hätte, und zieht sich, vermutlich desillusioniert, von der politischen Bühne zurück.
Geboren wird Johann Georg Christian Kapp am 18. März in Bayreuth, das damals zu Preußen gehört. Seine Verwandtschaft besteht aus zahlreichen Theologen und Philologen, darunter etwa Erhard Kapp, Leipziger Universitätsrektor und ein Lehrer von Gotthold Ephraim Lessings.
Kapp studiert bis 1819 in Berlin Theologie und später, inspiriert durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie. 1823 habilitiert er in Erlangen und wird im Jahr darauf dort außerordentlicher Professor für Philosophie.
An der Universität Heidelberg nimmt Kapp eine Honorarprofessur an, 1840 erhält er eine ordentliche Professur, liest aber nur kurze Zeit bei den Studenten. Finanziell abgesichert durch die Heirat mit der wohlhabenden Emilie Friederike Schuster kann er sich publizistisch betätigen.
Kapp gerät immer wieder in Konflikt mit seiner Fakultät in Heidelberg. Auslöser dafür ist sein (erfolgloser) Einsatz für die Aufnahme von Linkshegelianern an die Fakultät, die von anderen Professoren abgelehnt werden. Sein Einsatz bringt Kapp den Ruf eines radikal-demokratischen Oppositionellen unter seinen Kollegen ein und macht ihn zum Außenseiter an der Fakultät – gleichzeitig wird er unter den Studenten und jungen Dozenten zum Zentrum demokratischer und republikanischer Kreise.
Kapp tritt von seiner Heidelberger Professur zurück. Auslöser ist ein Streit zwischen den Professoren der Geschichte und der Philosophie. Kapp hatte für das Wintersemester 1843/44 ein Kolleg über Geschichte und Politik angekündigt, was ihm als Eingriff in andere Fachbereiche untersagt wurde. Kapp versteht dies als Angriff auf die Lehrfreiheit und bewusste Ausgrenzung seiner politischen Ansichten.
Für den Offenburger Stadtwahlkreis wird Kapp in die badische Abgeordnetenkammer gewählt und beginnt damit seine politische Karriere. Offenburg gilt in dieser Zeit als ein Zentrum radikal-demokratischer Oppositionsgruppen. So ist dort unter anderem auch der für politischen Fortschritt einstehende Deutschkatholizismus verankert, zu deren Unterstützung auch Kapp zählt. In verschiedenen Publikationen verlangt Kapp eine Unterordnung der Kirche unter den Staat und eine Emanzipation des Staates von den kirchlichen Einflüssen.
Kurz nach dem Ausbruch der französischen Februarrevolution fordert Kapp öffentlich unter anderem die Wiederherstellung des Pressegesetzes, die Aufhebung der Repressionsmaßnahmen des Deutschen Bundes, Glaubens- und Gewissensfreiheit, aber auch die Beseitigung des Feudalwesens und eine Vermögens- und Einkommenssteuer sowie die Einführung einer einheitlichen Nationalversammlung.
Für den Stadtkreis Tauberbischofsheim wird Kapp in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Seine oft beißend formulierten Kritik und seine Kompromisslosigkeit gegenüber eines Vereinbarungskurses mit den alten Regierungen, auch bedingt durch den gescheiterten Aprilaufstand der republikanischen Linken in Baden, machen ihn im Parlament zu einem Außenseiter.
Nachdem Erzherzog Johann von Österreich von der Nationalversammlung Reichsverweser – eine Position, in der er dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich ist – gewählt wird, tritt Kapp aus Protest aus der Versammlung aus. In der Wahl sieht er einen Verrat an der Märzrevolution und der Volkssouveränität. In der Folge seines Rücktritts übt er Fundamentalkritik am vermittelnden Kurs der Paulskirche.
Mit der Abgabe seines letzten politischen Amtes, dem Mandat im Badischen Landtag, zieht sich Kapp weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurück.
Kapp verstirbt am 31. Dezember in Neuenheim, Heidelberg.
Jörn Leonhard
Wer über die alte Brücke von Heidelbergs Altstadt auf die Neuenheimer Seite wechselt, kann am unteren Abhang des Heiligenberges, der sich links nach Neuenheim hin öffnet, noch heute einige hochgewachsene Koniferen erkennen. Heidelberg verdankt diesen Garten Christian Kapp, einem prominenten Heidelberger Demokraten aus der Zeit des Vormärz und Mitglied der Frankfurter Paulskirche. Nach nur vier Wochen trat er schon im Juni 1848 wieder aus der Nationalversammlung aus. Als radikaler Naturfreund beschäftigte er sich fortan mit der Aufzucht exotischer Nadelhölzer. Kapps Freiheitsliebe, so eine zeitgenössische Anekdote, habe sich nach der tiefen politischen Desillusionierung in der Paulskirche auf die Anweisung an seine Gärtner beschränkt, die eingepflanzten Bäume und Sträucher seines Gartens nur ja nicht zu beschneiden, um wenigstens dem Wachstum der Flora weitestgehende Freiheit zu gewähren. Weiterlesen
Christian Kapp, 1798 in Bayreuth geboren, kam Anfang der 1830er Jahre nach Heidelberg, wo er 1839 eine Honorarprofessur für Philosophie antrat. Finanziell durch seine Heirat mit einer Pfälzerin aus wohlhabender Familie abgesichert, entwickelte sich sein Haus auf der rechten Neckarseite sehr bald zu einem Kristallisationspunkt für die demokratische Opposition Heidelbergs im Vormärz. Der Garten, so ein Zeitgenosse rückblickend, sei „ein geweihtes Luftwäldchen gewesen, in welchem alle Fragen wiederhallten, welche die besten Kreise Deutschlands beseelten“.
Obwohl zu den Gästen auch ein eher gemäßigter Liberaler wie Karl Theodor Welcker gehörte, galt Christian Kapp in Universitätskreisen nicht zuletzt aufgrund seiner engen Freundschaft zu Ludwig Feuerbach, dem radikalen Religionsphilosophen, den er seit gemeinsamen Studientagen in Berlin kannte, bald als suspekt. Seine Versuche, prominenten Linkshegelianern wie David Friedrich Strauß oder Bruno Bauer Professuren in Heidelberg zu verschaffen, scheiterten. Hinzu kam nicht zuletzt sein in vielen zeitgenössischen Berichten erwähntes doktrinäres, ja cholerisches Temperament, das schließlich einen Streit mit der eigenen Fakultät um die Abhaltung von Examina mündete. Als Kollegen ihm vorwarfen, sich unzureichend um sein Amt zu kümmern, eskalierte der Konflikt 1844. Kapp schied daraufhin freiwillig aus der Universität aus. Niemand begrüßte diese Entscheidung enthusiastischer als Kapps Freund Feuerbach, der ihm mit süffisanter Ironie zur förmlichen Entlassung aus dem „Karzer der Universität Heidelberg“ gratulierte. Der Freund passe so wenig wie er selbst „in die Schranke einer offiziellen Kommune dieser Zeit.“ Das Neckartal sei „zwar allerdings herrlich, aber je enger das Tal, um so breiter machen sich nur die Hofräte und übrigen Universitätspudel.“
Das Ende seiner Universitätslaufbahn eröffnete Kapp den Eintritt in die aktive Politik. Durch die Vermittlung Karl Theodor Welckers und Adam von Itzsteins, beide führende Repräsentanten des vormärzlichen badischen Liberalismus in seiner Konzentration auf den Landtag und die Hoffnung auf Kooperation mit einem reformbereiten Staat, wurde er 1845 für Offenburg, den „weltberühmten Demagogensitz“, in die Karlsruher Kammer gewählt. Dort setzte er sich nicht allein für die Judenemanzipation ein, sondern geißelte vor allem die politische Reformblockade im Deutschen Bund, die nach seiner Ansicht unweigerlich auf eine revolutionäre Konfrontation zulaufe. Der 1815 geschaffene Staatenbund stelle lediglich eine von Metternich oktroyierte „Polizeieinheit“ dar. Zu Unrecht klage man daher „immer die Opposition an. Nicht diese, das alte System der Regierung führt notwendig, führt unrettbar zur Revolution.“
Den Ausbruch der französischen Februarrevolution 1848 begrüßte er mithin als verheißungsvollen Auftakt für die Entwicklung in Deutschland. Seine Distanz zu den konstitutionell-gemäßigten Liberalen dokumentierte einerseits seine Teilnahme an den beiden Offenburger Versammlungen, die gegenüber der liberalen Strategie einer parlamentarischen Kanalisierung der revolutionären Bewegung bereits von den radikal-republikanischen und sozial-egalitären Forderungen der Volksrevolutionäre Friedrich Hecker und Gustav Struve dominiert wurden. Andererseits nahm Kapp aber auch an der Heppenheimer Versammlung der gemäßigten Liberalen teil. Zu Beginn der Märzereignisse ließ er sich von daher nicht eindeutig den republikanischen Anhängern einer außerparlamentarischen Volksbewegung zurechnen.
Über die Heidelberger Versammlung vom 5. März 1848 und das Frankfurter Vorparlament gelangte Kapp als Abgeordneter in die Nationalversammlung der Paulskirche. Seiner Überzeugung nach kam ein evolutionärer Vermittlungskurs gegenüber den alten Gewalten, wie ihn die Mehrheit der Liberalen anstrebte, einem Verrat an den wahren Volksinteressen gleich. In einer Landtagsdebatte vom März 1848 hatte er die konstitutionelle und nationalpolitische Reformunfähigkeit des Deutschen Bundes scharf kritisiert: Die „letzten Glieder der Bundesversammlung“ seien nichts anderes als „bankrott gewordene Proletarier an der deutschen Staatsmaschine“. Dennoch hielt er noch an der Idee einer konsequenten Fortentwicklung des Bundes fest. Dessen Aufgabe erkannte er klarsichtig in der „Aufrechterhaltung der Nationalfreiheit in der Nationaleinheit durch Nationalrepräsentation“. Damit formulierte er zugleich die dreifache Hypothek der Paulskirche, auf der neuen parlamentarischen Basis politische Freiheit und nationale Einheit zu verwirklichen.
Unter dem Eindruck seiner Erfahrungen in Frankfurt und nicht zuletzt durch seine Neigung, ebenso wortreich wie pathetisch und polemisch zuzuspitzen, radikalisierte sich Kapps Einstellung in Frankfurt sehr bald. Bereits im Vorparlament bezeichnete er den Bund als verwesende „Leiche“, als „Hauptherd aller Teufeleien Deutschlands“. Diese Formulierung trug ihm in zeitgenössischen Satireblättern den ironischen Titel „Reichshyäne“ ein. So sehr sich Kapp selbst eher als politischer Mahner begreifen mochte, so deutlich zeigte sich bald, dass er im Parlament weitgehend isoliert war: Einerseits konnte er sich bei aller rhetorischen Schärfe niemals zu einer aktiven Unterstützung der außerparlamentarischen Volksrevolution wie in der Badischen Aprilrevolution unter Führung von Hecker und Struve durchringen. Andererseits war seine Distanz zu den konstitutionellen Liberalen spätestens seit Beginn der Beratungen in der Frankfurter Nationalversammlung unüberbrückbar geworden.
Seine tiefe Abneigung gegen den Typus des vermeintlich tatenlosen Universitätsprofessors auf der politischen Bühne ließ allenfalls die rhetorische Stilisierung revolutionärer Entschlossenheit zu. Wo die politische Neugestaltung auf demokratischer Grundlage in eine bloße Konsensstrategie münde, müsse auf die revolutionäre Volksbewegung zurückgegriffen werden: „Wir sind keine Germanisten, sondern Männer der Tat.“ Es gelte, „gegen das alte System Schläge zu führen, die durch Fleisch und Blut in Mark und Bein, in Leber und Nieren dringen.“ Nachdem die republikanische Linke ihre Position bereits im Vorparlament nicht hatte durchsetzen können, offenbarte die Niederschlagung des badischen Aprilaufstandes 1848, dass die Spielräume für eine Volksrevolution im außerparlamentarischen Raum geringer wurden.
Als sich die Nationalversammlung vier Wochen nach ihrem Zusammentritt im Juni 1848 mit der Wahl des Erzherzogs Johann von Österreich zum Reichsverweser eine eigene Exekutive in der Form einer Provisorischen Zentralgewalt schuf, symbolisierte dies zwar die Durchsetzung der souveränen parlamentarischen Entscheidungsmacht, aber es war zugleich ein Bekenntnis zum dynastischen Prinzip und ein Symptom für den Vermittlungskurs der gemäßigten Liberalen gegenüber den fürstlichen Regierungen der deutschen Einzelstaaten. Kapp nahm diese Grundentscheidung zum Anlass für seinen spektakulären Austritt aus dem Parlament, der wiederum auf den Einfluss seines Freundes Feuerbach zurückging. Feuerbach, der zumal seine religionsphilosophischen Vorlesungen im Heidelberger Rathaus als Vorbereitung zu einer gewaltsamen Revolution mit dem Ziel einer demokratischen Republik verstand, bekannte sich offen zur Gewalt. Ohne „Blut, ohne Lebensverlust“ komme „nicht neues Leben in die Welt“. Obwohl das vom Reichsverweser berufene Reichsministerium auf der Mehrheit der Abgeordneten beruhte, war Erzherzog Johann formal dem Parlament nicht verantwortlich. Damit symbolisierte der Reichsverweser für Kapp und Feuerbach das Ende der Volkssouveränität und den offenkundigen Verrat an den wahren Volksinteressen.
Die ganze Widersprüchlichkeit der doktrinären Position Kapps zwischen seiner rhetorischer Bekenntnishöhe und der faktischen Minderheitenposition der radikalen Republikaner im Parlament wie außerhalb fasste ein Zeitgenosse der Frankfurter Ereignisse eindrücklich zusammen. Als Mitglieder der demokratischen Vereine Kapp am Abend nach seinem Austritt mit einem Fackelzug ehrten, forderte er die Menge auf, „fest zusammenzustehn, denn der Volkswille muss schwer und gewichtig sein wie die Lokomotive, damit er zermalme, was sich ihm entgegenstellt.“ Im Bericht des Augenzeugen hieß es weiter: „Als die Fackelträger ruhig abzogen, bemerkte ich zu meinem Nachbarn, welcher schweigend unter den Alleebäumen neben mir ausgeharrt hatte, dass es doch überraschend sei, wie die Leute nach so aufregenden Ansprachen still und ruhig abzögen. ‚Bah‘, antwortete mein Nachbar, ‚die Mehrheit hat keine Sohlen an ihren Stiefeln.‘“
Nach dem Ende seines nur vier Wochen währenden Mandats in der Paulskirche zog sich Kapp weitestgehend von der politischen Bühne zurück. Während die Satireblätter noch vom Ausbruch der „Reichshyäne“ aus der „Frankfurter Menagerie“ berichteten, versuchten liberale Gegner Kapp lächerlich zu machen: Es sei eine „Illustration“ der „eingebildeten Ruhmesgröße“ gewesen, „dass die Bewohner des rechten Neckarufers wochenlang eine Schar soldatenspielender Straßenjungen in militärischer Vermummung vor Kapps Haus ziehen sahen, um dem gefeierten Volksmann ein Hoch auszubringen und das Heckerlied anzustimmen.“
Die politische und wohl auch persönliche Desillusionierung am Ende stand in eigentümlichem Gegensatz zu dem Portrait, das Anselm Feuerbach 1849 von Christian Kapp anfertigte: „Ein angehender Fünfziger, schon wohl beleibt, in einen Pelzmantel gehüllt, sieht er“ - so Kuno Fischer rückblickend – „mit dunkelfeurigen Augen aus dem Bild heraus, leicht vorgeneigt sitzend und bereit, mit heftigem Wort den Frager zuzudecken.“
Sei es bittere Ironie der Familiengeschichte oder Symbol der dramatischen Zeitläufte deutscher Geschichte: Der Anführer des berüchtigten Kapp-Lüttwitz-Putsches, mit dem rechtsextreme Nationalisten im Frühjahr 1920 die neue Weimarer Demokratie stürzen wollten, war ein direkter Nachfahre des Heidelberger Achtundvierzigers vom rechten Neckarufer. Am 3. April 1920 stellte ein Artikel im Heidelberger Tageblatt die nicht unberechtigte Frage nach Zeichen des „Atavismus, der Vererbung der Züge geistiger Unruhe ... auf den abwechslungsweise auf die reaktionäre Seite gefallenen Empörer Wolfgang.“
Im Tempel schwang der Heiland seine Geißel,
zu reinigen die längst entweihte Stätte:
Laut schrie der Pöbel um verletzte Rechte!
Ist er verschwunden dieser selbe Pöbel?
Ruht er nicht wohlgenährt in heil’gen Hallen,
sich üppig freuend seiner Wucher-Früchte?
Doch halt! Es geht die kalte, dunkle Sage:
In Zauberbanden lieg‘ der Kölner Dom.
[…]
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Wie steht es nun? Wer mag es laut mir künden?
Was tat die Herrschsucht? Brach die falsche nicht
Das Heiligste, das frei gegebene Wort?
[…]
Entweiht vor Gott und Menschen ist der Altar,
die Liebe selber langt nach jener Geisel,
und in des Domes hochgewölbtem Bau
regt sich zu neuem Leben alter Treue!
Es ruh’n die Kräfte fürstlicher Gewalten
Nur friede-atmend im gekränkten Lande.
Doch in den Grüften wenden sich die Toten:
Die alten Frommen wollen nimmer dulden,
dass Priester-Dünkel ihrer Asche spotte.
Sie wenden sich im Grab: Es dröhnt der Boden
Und ihren Gruß vernimmt, im Seraph-Kranze,
an ihrer Brust den Eingebornen tragend,
die stumme Jungfrau, Königin des Himmels.
[…]
Die Klammer springt, es öffnet sich das Grab.
Aufsteigend die Gestalten grauer Vorzeit,
zum Schrecken des entarteten Geschlechts.
Dies sinkt hinab: und fernabdonnernd schließen
die Felsen-Grüfte ihre Wechsel-Pforte,
zu bergen ewig diese Natternbrut.
Es sinkt die Nacht mit ihren Höllen-Söhnen.
Auf ihre Häupter treten, neu belebt,
die Helden-Jünger reinen Christen-Glaubens,
begrüßend schon des Tages junge Sonne,
und treu umgeben von der Engel-Schar
erheben sie das Kreuz, von Rosen-Knospen
der neuen Morgenröte rings umblüht.
[…]
Ein neu Gebot ertönt in ihrem Munde:
Liebt, Brüder, liebt Euch frei in reinem Glauben!
Besiegt den Irrtum streng im eignen Busen,
befreit Euch von Euch selbst, dann seid Ihr frei.
Nur Selbstbesiegung ist der Liebe Losung.
Nur blinder Irrtum tötet Lebensfreude;
Und nur wo Einsicht wohnt, wohnt die Versöhnung.
Gestern morgen hatte ich gleich zu Anfang der Sitzung eine dringende Angelegenheit auf wenige Augenblicke Sie und Herrn v. Soiron ums Wort gebeten; letzterer hat sich indessen trotz meiner viermal wiederholten Forderungen wie gewöhnlich gemüßigt gefunden, mir dasselbe abzuschneiden. In die Unmöglichkeit versetzt, mich mündlich erklären zu können, bin ich gezwungen, die Gründe meines Austritts schriftlich auf die Tafel des Hauses niederzulegen und Sie zu ersuchen, dies Schreiben sofort der Nationalversammlung mitzuteilen.
Als ich am Montagmorgen, den 26. dieses Monats, den Antrag auf Gründung einer großen deutschen Nationalbank dem Präsidenten übergab, glaubte ich nicht, noch am Abend desselben Tags einen Vorfall erleben zu müssen, der in den Annalen parlamentarischer Verhandlungen kaum seinesgleichen hat. Mit gewohnter Milde und Nachsicht würde ich jedoch diesen Vorfall wie andere ähnliche […] übersehen haben, wenn ich nicht aus dem Geiste, welcher in den Hauptfragen die Mehrzahl der Versammlung beherrscht, die tragische Überzeugung gewonnen hätte, dass die Nationalversammlung nicht nur die Gesetze verleugnet, die sie sich selbst gegeben, sondern auch den Boden verlässt, auf welchem sie zu stehen berufen ist, dass sich also das Schicksal Deutschlands nicht in diesem Saale, sondern außer ihm, nicht durch Worte und diplomatische Künste, sondern durch Taten, durch Ereignisse entscheiden wird. Weiterlesen
So schmerzlich es mir ist, dies aussprechen zu müssen, so wenig ich zu separatistischen Schritten geneigt bin, so kann ich es doch im Geiste meiner Wähler mit meiner Ehre und meinem Gewissen nicht vereinigen, noch länger einer Nationalversammlung anzugehören, welche in Tagen solcher Not ihr Schicksal außer sich setzt und nicht zu begreifen wagt, dass die Tatsachen unserer neuen Geschichte nichts anderes als die offenbar gewordenen Prinzipien des Jahrhunderts sind. Einen neuen glänzenden Beweis der Verleugnung ihres Ursprungs, der Verkennung ihrer Aufgabe, der Verkennung der Forderungen und Hoffnungen des Volks hat die Nationalversammlung in taktvoller Harmlosigkeit bei der gestrigen Abstimmung dadurch geliefert, dass sie die Zentralgewalt von der Verbindlichkeit, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen, entband, jene also unabhängig von sich hinstellte, mithin sich selbst zur Antichambre des künftigen Reichsverwesers degradierte, bei ihrer heutigen Abstimmung aber dadurch, dass sie eben diesen Reichsverweser mit mehr als doppelter Majorität aller Verantwortlichkeit überhob und auf diese Weise die Macht- und Rechtsvollkommenheit verdahlmannte.
Indem ich auf Grund dieser Tatsachen meinen Austritt erkläre, verbinde ich mit dem hochachtungsvollsten Gruß an die Ehrenmänner aller Bänke den Wunsch, dass mein Ausscheiden die Ursache mit entfernen helfe, welche mich zu diesem Schritte genötigt haben.
Frankfurt, den 28. Juni 1848, vormittags 11:30 Uhr
Kapp
An meine Wähler!
Sie ersehen aus nachfolgendem Briefe, dass ich aus der Nationalversammlung ausgetreten bin. Bei Ihnen werde ich mich wegen dieses Schrittes nicht rechtfertigen: ich glaube vielmehr, ganz in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Sie haben mich gewählt in eine Versammlung, deren Lebensgrund die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Kraft das lebendige Wort der Wahrheit, die Sprache der Tatsachen, deren Gesetz die Freiheit der Rede ist. Diese Versammlung existiert aber nicht mehr. Das Prinzip ihres Ursprunges, die Souveränität des Volkes, hat sie aufgegeben und den Mund des Volkes verschlossen, indem sie seinen freisinnigsten Vertretern das Wort verkümmerte.
Ich habe das Vertrauen, dass die Stärke Ihres Unwillens über die Gründe meines Austritts jene großartige Ruhe auch bei Ihnen nicht stören wird, die das sicherste Zeichen siegende Kraft selbst in den Tagen der Not ist. Eigene Erfahrungen hat Sie schon überzeugt, welche Macht in Ihrer Haltung, welche Tatkraft in Ihrer Einsicht liegt.
Frankfurt, den 28. Juni 1848
Der Ihrige
Ch. Kapp
Encyclopädie der Philosophie. Erster Theil., Berlin / Leipzig 1825.
Die Kirche und ihre Reformation. Ein Fragment. (Bruchstücke einer Theodicee der Wirklichkeit von D. Outis oder Stimmen eines Predigers in der Wüste von D. Christian von der Asche), Erlangen 1826.
Das concrete Allgemeine der Weltgeschichte, Erlangen 1826.
Gregor, ein Gespräch über das Papsthum und die Monarchie, Nürnberg 1833.
Die Gründe meines Austritts aus der Nationalversammlung. Ein Sendschreiben an meine Wähler, Darmstadt 1848.
Briefwechsel zwischen Ludwig Feuerbach und Christian Kapp. 1832 bis 1848, hg. von August Kapp, Leipzig 1876.
Best, Heinrich / Weege, Wilhelm: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 8), Düsseldorf 1996, S. 200f.
Leonhard, Jörn: Christian Kapp, in: Gelehrte in der Revolution. Heidelberger Abgeordnete in der deutschen Nationalversammlung 1848/49, hg. von Frank Engehausen / Armin Kohnle, Ubstadt-Weiher 1998.
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